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14.4.16

Die Halbmutter


In den ältesten Äonen bereiste eine kosmische Existenz den endlosen Raum auf der Suche nach einer Heimat. Sie fand einen großen, kalten Felsgiganten, den man damals „Krak’uun“ nannte; der erste Planet auf ihrem Weg durch das dunkle Nichts, der ihren Ansprüchen nahe kam. Das mächtige Wesen ließ sich auf seiner leblosen Ödnis nieder und begann zu sinnieren. Sie spann finstere Gedanken und begann mit den Vorbereitungen ihrer unbegreiflichen Machinationen.
Doch dann kam das große Beben und zerriss die Visionen ihrer Zukunft. Eine Katastrophe von universalem Ausmaß erschütterte die Galaxis und auch über Krak’uun fegte eine Welle der Zerstörung. Sie sprengte die Planetenkruste, worauf seine Innereien in die Schwärze hinaus bluteten. Die Wesenheit schaffte es nicht rechtzeitig zu fliehen und konnte sich den ungeheuren Kräften nicht widersetzen. So kam es, dass sie in einen grauenvollen Abgrund geschleudert wurde und in die tiefsten Tiefen stürzte.
Mit ihrem Fall wandelte sich der einstige graue Felsgigant und neues Leben erblühte auf dem nunmehr kleinen Planeten, den man heute „Erde“ nennt.



Schon ewig leidet sie unter ihrem Schicksal. Ruhend in ihrem Gefängnis aus Stein und Finsternis verflucht sie ihr scheußliches Dasein. Selbst die mächtigsten Götter und Allwesen meiden diese misslungene Lebensform und fürchten ihr geiferndes Brüllen.



„Krtefl-beäh! Urs-pod’pwir Qis’dzadyul! Bjiogoaaahrrr!!!“

Die wahnsinnigen Schreie, die Gestein sprengen und den Erdboden erzittern lassen, tragen den unsäglichen Schmerz aller Zeitalter und den unermesslichen Hass auf die Lebenden in sich. Sie hallen entlang am rissigen Fels ihres riesigen Verlieses, der tiefschwarzen Festung mit ihren unzähligen verzweigten Höhlensystemen, die unter uns mäandern. Diese Höhlengänge, die Adern unserer Welt, werden langsam aber konstant mit unnennbarem Horror geflutet.

In einer schleimigen Brutkammer im Herzen des Gewölbes ruht ihr titanischer Körper. Ein unfassbarer Koloss mit einer dicken, rauen Panzerhaut dessen hunderte lange Arme und dünne borstige Fühler herumzappeln und umhertasten. Der robuste Torso ist mit mehreren rudimentären, aber dennoch monströsen, ledrigen Schwingen und zehn gigantischen, spinnenartigen Beinen ausgestattet. Ihr gewaltiger augenloser Kopf schwenkt durch den Raum und wacht mit mentalen, transzendenten Sinnen über ihr unterirdisches Reich und beobachtet gleichermaßen die Kreaturen, die jetzt die Wälder, Meere und Lüfte der Welt bevölkern.
Der weiche insektoide Hinterleib ist das markanteste und schaurigste Körperteil der Bestie. Dreimal größer als der Rest des Wesens und mit einem unheilvollen Glühen in seiner Mitte, ist dieses fleischige Geschwür der Grund, wieso die Missgestalt diese hasserfüllten Schmerzensschreie aus ihrem zahnlosen Rachenschlund speit.
Jede Minute schlüpft ein weiteres Dutzend ihrer verfluchten Kinder aus tausenden pulsierenden Poren, die von fluoreszierendem blau-grünlichen Körpersaft triefen. Wenn sie nicht in dem See aus Fruchtschleim ertrinken oder vom Gewicht ihrer Geschwister zerdrückt werden, dann kriechen sie aus der Brutkammer und durchleben ein kurzes, schmerzhaftes Dasein von einigen Stunden. Die tobende Mutter weint um ihre abscheulich verkrüppelten Geburten. Myriaden deformierte, halb tote Gestalten, die durch die Gänge schlurfen, während sie ihre verwesten Gedärme hinter sich her ziehen. Kaputte Totgeburten einer verstoßenen Entsetzlichkeit, allein durch ihren Willen angetrieben, um ihre schändliche Arbeit zu verrichten. Und sobald eins der Kinder umfällt und nicht mehr aufsteht, stürzen sich die anderen darauf um die kraftlose Leiche zu verwerten. Von dem fauligen Fleisch wird gespeist und aus den brüchigen Knochen werden Werkzeuge gefertigt. Die gepeinigten Marionetten strömen still und stinkend in bestialischen Horden durch das irdische Mark. Nach oben.
Mit Knochenhacken in ihren kalten Händen gehorchen sie dem Befehl ihrer rachsüchtigen Mutter. Endlose Legionen der animierten Kreaturen marschieren unermüdlich vorwärts und graben durch Gestein und Erde mit Krallen, Zähnen und den Resten ihrer Geschwister. Sie nagen am Fundament unserer Welt und die große Mutter erwartet sehnsüchtig den Tag an dem sie endlich die Oberfläche durchstoßen. Sie wartet auf den glorreichen Moment ihrer Befreiung. Sie wartet auf die lang ersehnte Rache. Und vor allem wartet sie darauf, dass die pestilenzialische Armee ihrer halb-lebenden Ausgeburten auf ihr Geheiß den menschlichen und tierischen Abschaum vom Erdboden tilgt. Auf dass sie wieder Herrin dieses Planeten wird.


Doch bis es so weit ist, wird sie weiterhin warten. Dem Tode unterworfen aber dennoch unsterblich. Als Sklavin ihrer eigenen Fruchtbarkeit. Verbannt im Herzen der Welt. Dort unten in Leid und Hass.

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