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17.3.16

Die letzten Zeilen des Eduard Schwarzthal


Mein Name ist Eduard Schwarzthal und ich schreibe diese Zeilen, weil ich nicht weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt. Ich bin gezwungen, mich kurz zu fassen und muss den Leser an dieser Stelle ausdrücklich warnen: Falls Sie diese Niederschrift lesen, sind Sie bereits in großer Gefahr. Dies ist mein voller Ernst und ich muss darauf vertrauen, dass Sie sich dessen bewusst sind. Bevor ich zum eigentlichen Inhalt eile, muss ich an Ihren (hoffentlich) gesunden Menschenverstand appellieren. Seien Sie vorsichtig und machen Sie nicht den selben Fehler wie ich! Versuchen Sie nicht der Sache auf den Grund zu gehen und teilen Sie diese Informationen mit niemandem!

Nun, da ich Sie ausgiebig gewarnt habe, will ich mich nicht mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten und zum Kerninhalt kommen. Ich befinde mich zu diesem Zeitpunkt in einem kleineren, recht unscheinbaren Bibliotheksgebäude in… einem Ort, dessen Namen ich besser nicht nennen sollte. Ich hocke auf dem Boden eines versteckten Archivs in einem älteren Teil des Gebäudes und führe meinen Stift mit zittrigen Händen bei flackerndem Kerzenlicht. Ursprünglich führte mich meine ethnologische Forschungsarbeit an diesen Ort, da ich beabsichtigte mein Wissen um Hinweise auf verborgene Völker und deren vergessene Kultur zu erweitern. Der überaus tüchtige und fast schon übertrieben höfliche Archivar war so freundlich, mir noch zu solch später Stunde Zutritt zu gewähren. Sein schiefes schrumpliges Lächeln versicherte mir, dass ich in Ruhe meinen Studien nachgehen könne.
Nach einigen Stunden stolperte ich zwischen den staubigsten und dunkelsten Regalen umher und verlor mich in dem scheinbar unerschöpflichen Quell von angefaulten Folianten, die von den ältesten und verborgensten Geheimnissen erzählten – eine unglaublich faszinierende Erfahrung muss ich gestehen. Ich las von eigentümlichen Riten, unentdeckten Tempeln und exotischen Sprachen. Meine wissbegierige Euphorie verflog jedoch nachdem ich in einem ganz besonderen Manuskript las. Es liegt in diesem Moment neben mir und ich werde versuchen, seine außergewöhnlichen Natur zu umschreiben.
Ein dicker schwarzer Einband aus rauem uralten Leder umschließt die tausenden mystischen Seiten, die ich noch vor wenigen Minuten untersuchte. Der Einband ist mit einem höchst rätselhaften Muster verziert, dessen Form ich nur schwer beschreiben kann. Auf der ersten halb zerbröselten Seite steht ein einziges Wort in eigenartigen Zeichen geschrieben; kryptische Glyphen, die in unserer Schrift ungefähr wie die Laute „Erabn-Nen’nusad“ aussehen würden. Der arkane Foliant ist ein sonderbares Exemplar, dessen unbestimmbare Herkunft und kaum einzuschätzendes Alter mich schwer verwunderte. Ich blätterte ein wenig umher und überflog einige Zeilen, konnte jedoch kein einziges Wort entziffern. Jede zweite Seite aber war mit einfach verständlichen Piktogrammen versehen, die an die altägyptischen Hieroglyphen erinnerten. Ich schloss daraus, dass der Verfasser eine Übersetzung für Leser angefertigt hatte, die seine Schrift nicht lesen konnten. Ich entschlüsselte mit geschickter Dechiffrierarbeit und meinen Kenntnissen in der Symbolik den Inhalt des mysteriösen Artefakts um ihm seine Geheimnisse aus vergangenen Zeitaltern zu entreißen. Ein fataler Fehler, der mich nun um mein Leben fürchten lässt…
Ich darf auf keinen Fall aus diesem schrecklichen Werk zitieren, da die grauenvollen Beschreibungen den Leser in denselben Abgrund stürzen würden, in dem ich mich gerade befinde. Ich fand unaussprechliche Dinge, die dem Menschen besser verborgen bleiben sollten, muss aber einige dieser trotzdem aufschreiben, bevor es zu spät ist und sie für immer verloren sind.
Viele der Texte bildeten eine Sammlung von magischen Beschwörungsformeln und komplexen Ritualbeschreibungen, die man besser nicht aussprechen sollte. Etwas weiter hinten stand dann, was diese okkulten Beschwörungen kanalisieren würden. Das Buch sprach von den finstersten Dämonen, abscheulichsten Monstrositäten und anderen horrenden Kreaturen. Selbst von transzendenten Sternenwesen und ewigen Göttergestalten wurde berichtet und die Macht, diese zu kontrollieren wurde dem Leser mehrmals in blasphemischen Versprechungen zugeflüstert. Ich selbst sollte durch Abbildungen von fliegenden Scheusalen und unterirdischen Ungeheuern verführt werden, doch ich wandte meinen Blick von den Bildern ab. Ich wagte es nicht in die korrumpierenden Zeichnungen des Bösen zu blicken. Allein die Schilderungen dieser scheußlichen Abnormitäten der Schöpfung ließen mich in einem erstarrten Zustand des Wahns zurück. Meine Finger glitten die uralten Seiten entlang und meine Augen verengten sich konzentriert, bis ich nur mehr unter größter Mühe meine angewiderte Furcht unterdrücken konnte. Das Buch hatte mich in seinem Bann.

Ich werde ein einziges und wirklich nur dieses eine von vielen dunklen Kapiteln beschreiben, aus denen ich las. Die genauen Worte will ich dem Leser ersparen.
Wenn Sie meine Niederschrift lesen, werden Sie zuerst an ihrer Reliabilität zweifeln, doch ich bin mir sicher, dass Sie in Zukunft über so manche Dinge nachdenken werden, die bis jetzt an Ihnen vorbeigezogen sind. Also: überlegen Sie einmal! Sie kennen bestimmt dieses seltsame Gefühl, das man ab und zu bekommt, wenn man jemanden kennenlernt. Die Person scheint auf den ersten Blick ganz natürlich, völlig normal wie jede andere auch. Aber dann sehen Sie genauer hin und merken… Da stimmt etwas nicht. Irgendetwas an dieser Person scheint nicht zu passen. Vielleicht ist es ein äußerliches Merkmal wie eine markante Gesichtsform oder ein eigenartiges Leuchten in ihren Augen. Vielleicht ist es etwas an ihrer Persönlichkeit, das Ihnen missfällt. Ein winziges Detail, das einfach nicht stimmt und Ihnen Unbehagen bereitet. Beantworten Sie folgende Fragen!Wieso spüren Sie, wenn Sie von jemandem angesehen werden? Wieso drehen Sie sich instinktiv zu dieser Person und diese wendet sich instinktiv von Ihnen ab? Zwischenmenschliche Intuition? Soziale Analyse? Sie denken sich natürlich nichts dabei, wahrscheinlich fällt es Ihnen erst jetzt auf. Aber dieses Phänomen ist weit verbreitet und die Wissenschaft liefert keine Antworten. Und das ist auch gut so, denn der Ursprung dessen wird in dem fürchterlichen Folianten erklärt.
Das Artefakt berichtet von mysteriösen uralten Wesen, die schon Jahrmillionen vor dem Menschen auf der Erde gewandelt seien. Ein hochintelligentes Volk mit fortschrittlicher Technologie und atemberaubender Kultur. Doch mit der dominanten Vorherrschaft der jungen Menschheit verschwand jegliche Spur der älteren Wesen und ihre Zivilisation verkümmerte in Vergessenheit. Der modernen Wissenschaft sind keinerlei historischen Hinweise oder geheimnisvollen Funde bekannt, die die Existenz eines solchen verschollenen Volkes nachweisen könnte. Das schwarze Buch scheint das einzige Medium zu sein, das dieses Geheimnis kennt, dokumentiert und hütet.
Von ihrer Herkunft weiß man nicht viel. Theorien besagen, sie kämen aus eisigen Erdhöhlen der nordischen Gebirge und wieder andere Quellen sprachen von Geräuschen tausender großen Flügelschwingen über Strohdächern im Kongo. Tatsächlich behaupteten auch Touristen in Ostasien ein fremdartiges Gebrabbel gehört zu haben. Das könnten nichtsdestotrotz Hinweise auf viele andere der Schreckensgestalten sein, die in diesem perversen Pandämonium gesammelt sind. Aber das ist kaum relevant, denn sie, diese archaischen Kreaturen aus den ältesten Zeiten, leben heute noch unter uns.
Es steht geschrieben, diese Kreaturen seien extrem anpassungsfähig sowohl in ihrem Aussehen als auch in ihrer Sprache. Sie könnten fast zur Perfektion das menschliche Verhalten imitieren und man würde sie optisch für einen Menschen halten. Von ihren wahren Zielen wird sehr wenig berichtet, davon sind viele Erläuterungen bloße Vermutungen. Aber sie sind hier. Sie beobachten jeden unserer Schritte und folgen uns überall hin. Und wenn man sich umdreht, sieht man bloß ein paar gewöhnliche Passanten.

Oh, nein…

Ich wende mich wieder an den Leser. Meine Zeit läuft ab. Suchen Sie nicht nach ihnen! Sie wissen Bescheid. Lassen Sie sich Ihr Wissen nicht anmerken! Ich bin bereits verloren aber Sie können sich immer noch retten indem Sie dieses Blatt verbrennen und dessen Inhalt vergessen.


Da ist der Herr Archivar… Er kommt auf mich zu mit sardonischem Grinsen und schnellen Schritten in einer merkwürdigen, fast widernatürlichen Art.

2 Kommentare :

  1. Erkennt man das? :D
    Zu dieser Geschichte hat mich vor allem Lovecrafts "Whisperer in Darkness" inspiriert.

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